Als in den 60ern alles poppig wurde, zog der Frankfurter Künstler Peter Roehr die Monotonie industrieller Objekte und Abbildungen vor. 1968 starb er mit 24. Jetzt werden Arbeiten aus der Sammlung Paul Maenz in Weimar gezeigt
Die Registriertaste so lange drücken, bis die Papierrolle alle ist: 11111111111111111111usw. Das war 1962 die erste der seriellen Arbeiten des Frankfurter Künstlers. „Monotonie ist schön“, sagte er zu einer Freundin, die ihn in ihrem futuristischen Citroën DS über die niederländischen Polder chauffierte. Als das Leben aufregender und vielfältiger war als je in der Nachkriegszeit, freuten sich die beiden an den eintönig vorbeigleitenden Vertikalen der Telegrafenmasten und den endlosen Horizontalen der flachen, menschenleeren Landschaft.
Peter Roehr hatte zu Lebzeiten nur ein paar Ausstellungen. Erst nach seinem frühen Tode im Jahr 1968, gerade 24 Jahre alt, wurde er als einer der bedeutendsten Künstler nach dem Kriege anerkannt. Harald Szeemann zeigte ihn 1972 auf der legendären documenta 5, Rudi Fuchs 1977 in der Kunsthalle Tübingen und Jean-Christophe Ammann 1991 im MMK Frankfurt. Nun ist Roehr im Neuen Museum Weimar mit 72 zum Teil unbekannten Werken aus der Dauerleihgabe Paul Maenz zu sehen – von den frühen Arbeiten unter dem Eindruck der Zero-Künstler über Filmmontagen bis zu seinem Hauptwerk, den „Schwarzen Tafeln“, die mit einer seriellen Bodenarbeit von Carl Andréund Sol LeWitts „First Modular Structure“ eindrucksvoll konfrontiert sind.
Keiner sonst hat das Prinzip der Reihung unterschiedslos gleicher Elemente zum einzigen Thema seiner Arbeit gemacht. Warhols serielle Marilyns etwa leben von der Differenzierung. Als der Mao-Look schick war (eine Milliarde gleicher Chinesen!) und den Künstlern daran lag, nicht mehr am Rande der Gesellschaft als entfaltete Subjekte zu posieren, sondern mitten im Leben zu arbeiten, entdeckten sie die Welt der industriell produzierten Konsumartikel und die Massenmedien als objektive Voraussetzung ihrer Arbeit. Deren Serialität richtete sich gegen die damals vorherrschende gestische Malerei, gegen subjektive Gewichtungen der Komposition überhaupt und affirmierte dabei ganz bewusst Gleichheit, Massenhaftigkeit und Wiederholung – die Standardisierungen der Warenwelt. Denn viele Künstler – auch Roehr – bewunderten die Technik, deren Leistungen die von einzelnen Individuen so augenfällig zu übersteigen scienen.
Massenproduktion und Massenkonsum waren in jenen Jahren Bezugspunkte der Avantgarde. Roehr hatte mit seinen Montagen ein standardisiertes Verfahren gefunden, das subjektive Eingriffe des Künstlers soweit wie irgend möglich ausschließt. Er montierte identische, industriell produzierte Objekte, Kaufhausartikel oder Fotos, reihenweise hinter- und untereinander zu rechteckigen, tendenziell quadratischen Tafeln. Das Material, industrielle Readymades, bleibt gänzlich unverändert und bringt dadurch den Alltag pur in die Kunst. Leere Milchdosen holte sich Roehr, der arm war, von den Verkäuferinnen der Stehcafés und Fotos von den Frankfurter Werbeagenturen.
Die einzigen Entscheidungen, die er als Künstler noch traf, waren die über Art und Anzahl der Objekte. Dabei rekurriert die Auswahl eines alltäglichen Gegenstands und seine Verpflanzung in die Kunst auf den epochalen Akt Marcel Duchamps. Auch jeder andere hätte nach telefonischer Angabe dieser beiden Bestimmungen leicht einen „Roehr“ herstellen können.
Nach den vertikalen Reihungen auf der Registrierkassenrolle entschied sich Roehr für eine symmetrische Anordnung und bestimmte damit, dass die Objekte als Elemente eines Ganzen fungieren, das als Quadrat oder tendenzielles Quadrat keine horizontale oder vertikale Richtung hat. Kritischer Bezugspunkt dieser ruhigen Gleichförmigkeit ist die herkömmliche Dramatik der Komposition. Bei den Fotomontagen – meist aus Werbematerial mit starkem Zeitbezug – gehen die Fotos als Elemente mit ihresgleichen produktive Beziehungen ein. Es entstehen unkalkulierte, zum Teil verblüffende dynamische Strukturen. „Die Mitte zwischen noch erfahrbarem Gegenstand und schon selbstständiger ästhetischer Struktur wird in der Montage fixiert“, schrieb der Künstler.
Die Inhaltlichkeit des einzelnen Fotos verweist auf die kunstexterne Welt, doch kunstintern fungiert das Foto zugleich als Struktur bildend. Dieses Changieren zwischen Abbild und Strukturelement befriedigte Roehr bald nicht mehr. Die letzten Arbeiten waren identische Tafeln aus identischen schwarzen Teilen (Etiketten). Weiter konnte er nicht gehen. So gab er die Kunst auf.