Als Fest der Fruchtbarkeit wird Ostern mit Eiern und Schokoladenhasen gefeiert. Joseph Beuys zog bei seinen Ritualen im Kunstbetrieb dagegen Gold vor: 1982 schmolz er auf der documenta VII eine Kopie der Krone von Iwan dem Schrecklichen in einen Hasen um – als Symbol für Frieden und Volkskunst
An Ostern feiert die Christenheit die Auferstehung Jesu. Ostern ist der Sieg des Lebens über den Tod. Es ist das christliche Frühlingsfest, das die Kirche den vorchristlichen Frühlingsfesten anzupassen wusste. Der Hase, besonders der Märzhase, galt dabei schon im Mittelalter als Symbol der verrücktesten Geylheit, weil er im März nichts im Kopf hat als zu „rammeln“. „Mad like a marchhare“, sagt man in England. Man nannte das „Hasigkeit“.
Den Hasen liebte Joseph Beuys als Symbol so sehr, dass er sich selber einen Hasen nannte und den Hasen sogar als Kühlerfigur auf seinen Bentley setzte. Für ihn, der eine Partei der Tiere gegründet hat, zu deren Mitgliedern außer den Hasen und Elefanten auch Engel gehörten, war der Hase – ganz österlich – das Symbol der Umwandlung und des Neubeginns. Gleichwohl war sich Beuys der Fruchtbarkeitssymbolik, die den Hasen zum Osterhasen macht, sehr wohl bewusst.
Am 30. Juni 1982 kam es während der documenta VII in Kassel zu einer höchst spektakulären Aktion. Helmut Mattner, der Besitzer des Düsseldorfer Nobelrestaurants „Datscha“, hatte sich 1961 von dem Juwelier René Kern eine Nachbildung der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen aus dem 16. Jahrhundert anfertigen lassen: als Trinkgefäß für erlesene Gäste. Es wurde daraus zuzeiten Krimsekt getrunken. Dazu hatte sich der Edelkneipier eigens die Genehmigung von Nikita Chruschtschow besorgt.
Beuys war es gelungen, in nächtelangen Gesprächen Mattner zu bewegen, dass er ihm die 1.850 Gramm Gold schwere, mit 76 Perlen und vielen Edelsteinen besetzte Krone – zu einem unbekannten Preis – überließ. An dem besagten Junitag erschien der Künstler mit seinem Assistenten Johannes Stüttgen auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Er packte die Krone aus einer Plastiktüte und hielt sie mit den Worten in die Höhe: „Es wird also jetzt die Krone Iwans des Schrecklichen eingeschmolzen. Ich zeige sie euch noch mal!“
Während Beuys dann eigenhändig begann, auf dem überdachten Holzpodest die Edelsteine mit einer Nagelschere aus der Krone zu polken, ließen die Kasseler Bürger, die bereits eine Unterschriftensammlung zur Rettung der falschen Zarenkrone gemacht hatten, Protestrufe hören, einige warfen zudem auch mit Eiern.
Ungerührt schraubte Beuys das Kreuz von der Kronenspitze und tat es mit den Edelsteinen in ein Einmachglas. Dann zerlegte er die Goldschale in sechs Teile, rollte sie trichterförmig zusammen, schlug sie mit einem Hammer platt und steckte sie in einen aus Ziegelsteinen gemauerten Ofen. Während das Gold erhitzt wurde, rief Beuys durch ein Megaphon: „Agrippa von Nettesheim! Paracelsus! Athanasius Kircher!“ die Namen der großen Alchemisten und zeigte unterdessen das Einmachglas hoch erhoben herum. Als das Gold geschmolzen war, wurde es in eine Form gegossen.
Nach einer kleinen Weile präsentierte Beuys dem Publikum einen kleinen goldenen Hasen, der wie einer der Schokoladenhasen aussah, wie man sie vor Ostern überall kaufen kann. Der so genannte „Friedenshase“ befindet sich heute als Dauerleihgabe in der Neuen Staatsgalerie Stuttgart – eingemauert hinter Panzerglas. In einem Interview bemerkte Beuys zu der Hasenform, dass sie ja nicht von ihm erfunden sei – er habe lediglich einen „anonymen Osterhasen“ gegossen, das sei sozusagen „Volkskunst“.
Um was es dabei ging, ist klar. Beuys hatte in einem quasi alchimistischen Prozess das Symbol der Macht in ein Symbol der Fruchtbarkeit und des Friedens verwandelt. Plastiktüte, Nagelschere und Einmachglas sind dabei keineswegs zufällige Requisiten: Sie besagen in aller Respektlosigkeit, dass die Umwandlung mit gewöhnlichen Haushaltsmitteln möglich ist. In Verbindung mit der Bemerkung „Volkskunst“ heißt das etwa, dass das Volk zur Umwandlung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse in friedliche und fruchtbare Verhältnisse keiner besonderen Mittel bedürfte.
Ähnlich wie die Auferstehung Jesu – als Sieg des Lebens über den Tod – zugleich den Frühling ankündigt, kündigte Beuys, der die Bibel gut kannte, eine neue Zeit dadurch an, dass er die tote, verkrustete Macht symbolisch in Frieden und Fruchtbarkeit verwandelte, worunter er Kreativität verstand. Bekanntlich hat er ja gesagt, jeder Mensch sei ein Künstler. Beuys glaubte daran, dass in jedem Menschen große schöpferische Kräfte schlummern, an deren Entfaltung ihn die versteinerten gesellschaftlichen Verhältnisse hinderten. Er, der heute als der größte deutsche Künstler jener Zeit gilt, zählte alle, die guten Willens sind, zu den „Hasomanen“. In diesem Sinne also, liebe Hasomanen: „Es lebe der Osterhase!“