Bemerkungen zum Populismus

Populismus und aufgeschlitzte Jeans: Was haben sie miteinander zu tun? Einige Kommentatoren haben den Aufstieg Donald Trumps auch damit zusammen gebracht, dass er nicht wie die Politiker und Medienleute im elitärem Sprachmodus der political correctness spricht, sondern so wie die normalen Leute reden – in den USA. Man will z.B. „fuck the democrats“ sagen dürfen. Man will direkt sein, echt, authentisch – verdammt nochmal.
Quer am Knie geschlitzte Jeans bedeuten, dass sie schon lange getragen wurden, obwohl sie tatsächlich ganz neu sind. Aber sie sehen getragen aus, also authentisch, obwohl fake. Es ist die Authentizität, die in der Scheinwelt der permanenten Werbung und des Doping vermisst wird und – ein Widerspruch in sich – dann als eigene Qualität künstlich aufgesetzt wird. Das Gebrauchte riecht nach gelebtem Leben – aus alten Möbeln, Oldtimern, getragenen Klamotten in Trödel –, Antiquitätenläden und auf Flohmärkten. Es strotzt damit vor Echtheit. („Vintage“ – ursprünglich ist der Jahrgang eines Weines gemeint – ist dafür der neumodische Ausdruck.)
Das Bedürfnis nach Authentizität, nach Echtheit, zeigt sich auf unterschiedlichste Weise. So gibt es – wahrscheinlich unter dem Einfluss amerikanischer Sitten – in den Büros die Tendenz einander mit Vornamen anzusprechen und zu duzen, auch die Vorgesetzten. Man möchte die Distanz, die mit dem Nachnamen und dem „Sie“ verbunden ist, durchbrechen. Das wechselseitige Du vermittelt das Gefühl von Gleichheit und verspricht Nähe, Vertrauen und vielleicht gar Freundschaft, die wiederum verbürgt, einander nicht hinters Licht zu führen und einander die Wahrheit zu sagen. Vergessen wir nicht, dass der westliche Brauch, zur Begrüßung einander die Hand zu schütteln, ursprünglich entstand, um dem anderen die waffenlose Hand zu zeigen, weshalb eine Umarmung nur den sichersten Freunden gestattet war, um die Erdolchung von hinterrücks auszuschließen. (Soldaten, die sich ergeben, zeigen beide erhobene Arme mit leeren Händen.)
In bestimmten Volksschichten wird eine Abneigung gegen das Raffinierte gepflegt. So steht etwa das Grillen für das einfache Fleischessen im Freien für Echtheit. Im Unterschied zur Haute Cuisine, in der unter Zuhilfenahme von chemischen und physikalischen Kunstgriffen und der Möglichkeit, alles mit allem zu kombinieren, um ungeahnten Geschmack zu produzieren, arbeitet der männliche Grillkoch mit dem Fleisch pur wie es ist, plus Pfeffer und Salz, Barbecuesauce und vielleicht zweidrei Kräutchen. Grillen schafft Gemeinsamkeit und Nähe. Ehrlichkeit anstatt Durchtriebenheit, Echtheit anstatt geheimnisvoller (d.h. unaufrichtiger) Kompliziertheit. Auf die komplizierten Formen, die bei Tisch eingehalten werden sollen, wird ausdrücklich verzichtet. Nichts Gekünsteltes, sondern alles natürlich. In freier Natur darf auch gefurzt werden. Männer pissen einträchtig.
Um Authentizität darzustellen, werden in bestimmten Männerzirkeln gern Schimpfwörter verwendet – durchaus freundschaftlich: „Lass dich drücken, alter Schweinehund!“ oder „Hallo, alter Sack!“ wobei „alt“ die Funktion hat, die über lange Zeit entstandene Vertrautheit auszudrücken: „Grüß dich, Rudi, das ist meine Alte.“ Gemeint ist manchmal die noch recht junge Ehefrau. Hier ist alles echt. Man sagt, was man denkt.
Aus den gleichen Gründen misstrauen die rebellischen 68er – von der Herkunft eher brav – der Höflichkeit, die ja, wie das Wort besagt, einst bei Hofe gepflegt wurde und zu einem komplizierten Ritual entwickelt – die Distanz aufrecht hielt, die notwendig war, um bewaffnete Rivalen einander nicht zu nahe kommen zu lassen. Höflichkeit gilt auch heute als unecht, als aufgesetzt wie eine Maske, hinter der sich möglicherweise Gier, Hass und Missgunst verbergen.
In der Architektur ist die Maske zur Fassade geworden (lat: facies = das Gesicht), die dem Bau vorgeblendet wird. Ihre Aufgabe ist, der Öffentlichkeit Wohlstand, Ordnung und Anstand zu demonstrieren, oft bildet sie dabei die Sozialstruktur ab. In der Beletage, der Wohnung des Hauseigentümers: ausladende Balkone, säulengeschmückte Fenster. Schlichter gestaltet ist das Äußere des zweiten Geschosses, in welchem der solvente Hauptmieter wohnte, das dritte Geschoss mit zwei Wohnungen für mittlere Beamte ist nur noch mäßig dekoriert. Darüber befinden sich schließlich die schmucklosen Fenster zu den Kammern des Gesindes. Unter der Beletage prunkt das mächtige Portal, oft mit breiter Treppe und Balustergeländer, daneben die vergitterten Fenster des Souterrains für den Hausmeister, manchmal dazu ein schlichter Lieferanteneingang.
Nicht nur die eklektizistischen Fassaden der Großbürgerhäuser aus der Gründerzeit, sondern auch die gestaffelte Öffentlichkeit der 12-Zimmer-Wohnungen, in welchen der Gast vom Entrée, Vestibül bis zum Salon, aber nie bis zu den Räumen vordringen konnte, in der die Familie wohnte, galt als typisch bourgeois und als verdächtig, da die hinteren Räume, weil unzugänglich, immer etwas zu verbergen schienen. Diese Art des Wohnungszuschnitts unterstützte die kritische Vorstellung von einer bürger-lichen Doppelmoral: im hinteren, unzugänglichen Teil der Wohnung genoss der Couponabschneider wohlmöglich Schandtaten, die vorn im Salon heuchlerisch verurteilt wurden.
Renzo Pianos Pariser Centre Pompidou, das keine Fassade hat und direkten Einblick in die Eingeweide und das Gerippe des Gebäudes gewährt, gilt auch darum als sozialer Fortschritt in der Baugeschichte. Arbeiterwohnungen und Sozialwohnungen, aber auch viele Häuser in den Weiten der USA sind nicht nur aus ökonomischen Gründen anders zugeschnitten als europäische Großbürgerwohnungen: die Wohnungstür wird geöffnet und man ist drin. Einen Flur und damit den Ansatz einer gestaffelten Öffentlichkeit gibt es kaum. Der Gast steht in einem großen Wohnraum mit integrierter Küche. Man könnte den Zugang „direkt“ nennen. Hier scheint keine in der Zurückgezogenheit gepflegte Privatheit zu existieren. Alles ist offen. Zugänglichkeit wird demonstriert, die zweifellos ein wesentlicher Aspekt der Demokratie ist. Verallgemeinert steht für Zugänglichkeit der Terminus „Transparenz“ , ein wichtiger Begriff der demokratischen Moderne und verantwortlich für die großen Fenster. Unzugänglichkeit und damit Ausschluss der anderen, die nicht dazugehören (sollen), charakterisiert dagegen die Haltung der gesellschaftlichen Oberschicht, gut belegbar an Architektur, Umgangs-formen und Sprache. Der Populismus richtet sich gegen Distanziertheit und Indirektheit: elitäre Eigenschaften von „denen da oben.“
Distanziertheit wird als Überheblichkeit betrachtet und damit als Versuch, hierarchische Formen in einer demokratischen Gesellschaft aufrecht zu erhalten. „Der glaubt, er ist was Besseres“ drückt diese Einschätzung aus. Indirektheit, die sprachlich die Form der Anspielung und Andeutung annimmt, ist dem Spiel mit Bande beim Billard vergleichbar, wenn die Spieler das Ziel auf einem Umweg erreichen. Die Höchstform der Indirektheit erreichte die Intrige – im Rokoko ein meist maliziöses Gesellschaftsspiel, um unter Wahrung der Anonymität einen Konkurrenten etwa von der Tafel des Fürsten zu verdrängen (Der Intrigant gibt einer Person eine anschwärzende Information in der Gewissheit, dass diese die anscheinend beiläufige Information brühwarm einer anderen Person hinterbringt, welche die besagte Information der Öffentlichkeit preisgibt, in der der angezielte Empfänger nichtsahnend von der Abscheulichkeit erfährt, die ihm angehängt wird. Der Initiator bleibt im Dunkeln ) „Jemanden unmöglich machen“ ist ein passender Ausdruck für diese Strategie.
Anspielung und Andeutung im sprachlichen Umgang – oft noch ironisch verrätselt – erfordern die Fähigkeit, Implikationen, d.h. das nicht wortwörtlich, sondern nur indirekt Ausgedrückte, zu schlussfolgern. Diese tendenziell exklusive Sprachkompetenz besitzt in der Gesellschaft nur eine Minderheit. Dagegen fordert der Populismus Einfachheit: kurze, klare Hauptsätze, d.h. Sätze, die nicht durch erläuternde Nebensätze unterbrochen werden. (Der kürzeste Satz ist übrigens der Befehl.) Diese Forderung nach Einfachheit richtet sich auch gegen Fachsprachen, die in allen wissenschaftlichen Disziplinen üblich sind, um die Kommunikation unter Fachleuten zu erleichtern und um den Diskurs gegen Laien abzuschotten. Allerdings fließen Fremdwörter aus den Wissenschaftssprachen in die Alltagssprache ein und werden dort von den Hochstaplern unter Politikern und Feuilletonisten verwendet, um die Besserwisserei zu belegen, die ihnen Überlegenheit bestätigen soll.
Die Kommunikationsform der Demokratie ist die Argumentation: jedes Argument unterstellt, dass auch der andere recht haben könnte und impliziert damit, das bessere Argument des anderen als Handlungsanleitung zu akzeptieren. Die Argumentation will überzeugen. Die Kommunikationsform der Autokratie ist der Populismus: der Autokrat will die Zuhörer an sich binden, indem er sie emotional anspricht. Der Populismus will überwältigen. In der Praxis vermischen sich die beiden Kommunikationsarten oft – wie man es bei den Vorträgen von Staatsanwälten und Verteidigern erleben kann. Vermutlich war das schon bei den Rhetorikern der Antike nicht anders. Nicht umsonst war Rhetorik damals eine Art universitärer Disziplin, wo die späteren Feldherrn und Volkstribunen lernten, wie man die Soldaten oder die Plebejer an die Kandare nimmt. (Caesar z.B. glänzte auch als Redner.)
„Dem Volk aufs Maul schauen“ wollte schon Martin Luther, der die Bibel von der lateinischen Fremdsprache befreite, mithilfe derer der Klerus seine Sonderstellung als Beherrscher des „global code“, der Weltsprache, darstellte, in der auch die Wissenschaftler international miteinander kommunizieren konnten. (Das Volk kaute auf seinen unterschiedlichen Dialekten.) Mit der Möglichkeit des Sprachverstehens war nun auch die Mitsprache möglich geworden – ein Aspekt der Demokratie. Die Emanzipation der Frauen in den nördlichen Ländern Europas basiert auf der vom Protestantismus geforderten Fähigkeit, die Bibel zu lesen. Demgegenüber bezeichnet Populismus die demagogische Strategie, das Volk durch Anbiederung an dessen ungebildete Sprachgewohnheiten direkt anzusprechen, d.h. die von ihm gewählten Gremien (das Parlament) zu umgehen. Eine direkte Verbindung vom „Führer“ zum Volk wird hergestellt , exemplarisch realisiert durch den Volksempfänger (der Radioapparat der Nazizeit ). Die Verwendung der ungehobelten Sprache, wie sie nicht gebildete Leute unter sich benutzten, schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Es ermöglicht dem Demagogen, sich als „einer von uns“ darzustellen, d.h. als gleicher unter gleichen zu erscheinen, auch wenn er als „Führer“ unübersehbar herausgehoben ist. „Der Führer versteht die kleinen Leute.“
Der „kleine Mann“ hat es sich schon längst in der Rolle des Opfers bequem gemacht. Opfer – seiner selbst als Opfer wohlbewusst – ist heute ein verbreiteter Sozialtypus. Sein Hauptmerkmal ist , über das ihm angetane Unrecht zu klagen, an dem stets die anderen schuld sind. So wird das Opfer zum Querulanten, der immer und überall die Aufmerksamkeit zu erreichen sucht, die in unserer Gesellschaft den „Leistungsträgern“ vorbehalten ist. Das Leben des Opfers ist durch Passivität gekennzeichnet. „Ich war’s nicht“ ist der Satz, der das auf den Punkt bringt. Im Widerspruch zum Bedürfnis nach Authentizität, Direktheit und Distanzlosigkeit steht der Wunsch, anonym zu bleiben. Der „kleine Mann“ fühlt sich in der Herde am sichersten. Er will in Deckung bleiben. (vgl. die Beschimpfungen in facebook) Als Opfer ist er nicht gewillt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Es verlangt nach Führung und wird so zum folgsamem Adressaten des Populismus der Autokraten.
Noch besteht in unserer Gesellschaft die Vorstellung, dass soziale Konflikte durch Diskussion geklärt, befriedet und beseitigt werden können. Debatten sollen argumentativ ausgetragen werden. (Der Begriff „Parlament“ ist aus „parler“ ((franz. Sprechen)) entstanden.) Jede Argumentation unterstellt, dass der gegnerische Diskutant das bessere Argument ins Feld führen könnte, das dann, weil es das bessere ist, im Idealfall handlungsanleitend wäre. Diese Debattenkultur ist ur-demokratisch, denn sie geht von der Gleichheit der Diskutanten aus, die miteinander um die bessere Lösung eines Problems wetteifern. Gleichheit und Wettbewerb sind seit der Antike Parameter der Demokratie. Heute dagegen passiert es, dass der gegnerische Diskutant auf ein Argument entgegnet: „Ich seh‘ das aber nicht so.“ Anstelle eines anderen Arguments die bloße Negation. Damit weigert sich der gegnerische Diskutant, die demokratische Gesprächskultur anzuerkennen. Zugespitzt: er lehnt damit auch die Demokratie ab.
Die Redner der Antike waren rhetorisch geschult: sie wussten, dass das sachliche Argument allein das Publikum oft nicht überzeugen kann. Daher verwendeten sie Methoden, die das Volk überreden sollten. Um Menschen zum Handeln zu bewegen, genügt oft nicht der sachorientierte Vortrag des Arguments. Die Art des Vortrags, die Vortragsweise wird entscheiden: ist sie drohend, unterhaltsam, bilderreich, trocken etc. Es dominiert dann das „Wie“ über das „Was“. Aber auch dann ist es noch möglich, dass der Zuhörer entgegnet: „Ich seh‘ das aber nicht so.“
Wenn weder Überzeugung noch Überredung dazu führen, Menschen zu einem erwünschten Handeln zu bewegen, wirkt als letztes Mittel der Befehl. Dieser aber setzt die ideale, demokratische Gesprächskultur (den Wettbewerb unter Gleichen) außer Kraft: denn der Befehl basiert auf sozialer Ungleichheit.
Der Diskutant, der sich damit begnügt, das Argument des anderen zu negieren, ignoriert damit die Gesprächsform der Argumentation und das vermutlich darum, weil er bewusst oder ahnungsweise ihre Prämissen – den Wettbewerb unter Gleichen – für illusionär hält. Er geht davon aus, dass der Sprecher zu denen „da oben“, zu den Besserwissern und den Herrschenden, zu der so genannten Elite gehört, die ihn, weil sie gebildet ist und im Sprechen geübt, zu etwas drängt, was er nicht will. Die Wut der amerikanischen Trump-Anhänger gegen die von den Eliten verordnete „political correctness“ ist eine Weigerung der Ungebildeten, die Bildungskriterien der Herrschenden anzuerkennen, die dem Anspruch nach demokratisch sind, in der Praxis aber den „Opfern“ als elitär erscheinen. Diese Haltung ließe sich in einem Satz zusammenfassen: „Eure verlogene Demokratie wollen wir nicht – fuck you!“
Wenn es aber nicht mehr möglich ist, einen Konsens argumentativ zu begründen, steuern wir auf anarchische – und damit unsichere – Verhältnisse zu. Sicherheit aber ist das, was Menschen, die sich zu Opfern stilisieren, vor allem wünschen. Sie fühlen sich bedroht. Von Kommunisten, Dieben, Mexikanern, Viren, Aliens. Darum sind sie offen für die Versprechungen der populistischen Autokraten, die eine tendenziell permanente Bedrohung beschwören.
Für die Sicherheit – aktuell etwa für die garantierte Gesundheit – sind sie auch bereit, ihre in den Grundrechten festgelegten Freiheiten einschränken zu lassen. In deklarierten Notstandssituationen, die dann per Beschluss verlängert werden können, ermächtigen die Parlamente Technokraten und Autokraten, für die ersehnte Sicherheit zu sorgen. Berüchtigt sind die Ermächtigungsgesetze, die Selbstentmachtung der Parlamente, die erst ermöglicht, was dann in der Rückschau als Machtergreifung bejammert wird – dann nämlich, wenn die gefühlten Opfer zu wirklichen Opfern geworden sind.