Dasselbe anders Charlotte Posenenske installierte ihre Reliefs, Vierkantrohre und Drehflügel allesamt nach einem von ihr selber nicht formulierten Prinzip, das auch der Natur zugrunde liegt: dasselbe anders.
Wir Menschen haben alle ein Gesicht mit Augen, Nase und Mund (= dasselbe), sehen aber ganz unterschiedlich (= anders) aus. Das gilt übrigens überhaupt für Fauna und Flora. Auch die Industrie folgt diesem Prinzip: z.B. haben alle Autos vier Räder und ein Steuerrad (= dasselbe) und doch sehen alle Typen verschieden (= anders) aus. Das Prinzip „dasselbe anders“ heißt, auf einen einzigen Begriff gebracht, Veränderung. Veränderung ist in der Natur wie in der Industrie eine Konstante. Die entscheidende Dimension von Veränderung ist Bewegung. Und Bewegung ist die wichtigste Dimension des Lebens. Was sich nicht bewegt, ist tot.
Die Lebendigkeit von Charlotte Posenenskes Kunst, die – wie viele Kommentatoren sagen – heute so erstaunlich aktuell erscheint, obwohl sie ja den späten 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstammt, rührt daher, dass die Installationen ihrer Vierkantrohre immer wieder verschiedene Gestalt annehmen, ganz so, als würden sie leben. Auch die Reliefs (= dasselbe) lassen sich sehr unterschiedlich (= anders) anordnen, in Reihen, in Clustern, vertikal, horizontal, verstreut, einfarbig, vielfarbig, nur konvexe Reliefs. Konvexe und konkave Reliefs. Auch liegend. Die Drehflügel (= das-selbe) können je nach Stellung der „Türen“ zu einem Prisma oder Kubus geschlossen, halb geöffnet oder ganz entfaltet installiert (= anders ) werden, wobei – im Unterschied zu den übrigen Werkgruppen – die Veränderung vom Publikum selber fortlaufend vorgenommen werden kann.
Anders als das herkömmliche Kunstwerk, das als eine perfekte Ganzheit konzipiert ist, der nichts hinzugesetzt und nichts weggenommen werden kann, ohne seine Vollkommenheit zu verletzen, sind Charlotte Posenenskes Arbeiten Fragmente. Sie sind nie fertig und können in Raum und Zeit fortgesetzt oder reduziert, d.h. verändert werden. Hinzu kommt: Die Vierkantrohre aus Stahlblech haben oft eine unterschiedliche Oberfläche, je nach dem Jahrgang der Produktion. Die Bleche aus dem vorigen Jahrhundert zeigen eine dunkle Zinkblume, die neu reproduzierten Elemente (die Reproduktion gehört zum – gegen die Idee des Originals gerichteten – Konzept) sind dagegen hell wie Aluminium. Die Elemente, die draußen installiert waren, zeigen Spuren der Witterung. Manchmal haben die Handwerker auf der Oberfläche Berechnungen hinterlassen oder die Betrachter auch Beschimpfungen. Die Künstlerin bewertete solche Hinterlassenschaften als Gebrauchsspuren. An ihnen kann man das Alter des Kunstwerks ablesen. Ihre Kunst altert also nicht nur wie ein lebender Organismus, sondern sie verschwindet schließlich: die Wellpappe löst sich auf und das Stahlblech rostet. Auch das Verschwinden, d.h. das Sterben des Kunstwerks, gehört zum Konzept. Die Künstlerin wollte nicht – gemäß dem traditionellen Anspruch – für die Ewigkeit arbeiten. Sie glaubte, dass auch Kunst sich – wie jede Ware – irgendwann verbraucht. Fragment, Gebrauchsspuren, Verschwinden sind Gründe für die Lebendigkeit von Posenenskes Arbeiten. Veränderung, Wachstum, Altern und Sterben sind Ausdrucksformen von Lebendigkeit.