Er holte sich die Modelle für die Heiligen von der Straße und malte Christus mit schmutzigen Fingernägeln. Der Naturalismus Caravaggios (1570–1610) revolutionierte die im Manierismus erstarrte Malerei. Ein Vortrag von Sybille Ebert-Schifferer, der Direktorin des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, in den überfüllten Räumen der Deutsch-Italienischen Vereinigung behandelte, was meist nur Fachleuten bekannt ist: Obzwar Caravaggio vielleicht nicht der erste war, der ein Stilleben malte, so doch derjenige, welcher ihm als neuer Bildgattung zu Durchbruch verhalf. Dazu bedurfte es der Kenntnis von Leonardos Naturstudien und günstiger Umstände: Im Mailand der Gegenreformation fand sich ein Kreis humanistisch gebildeter Kirchenmänner und Auftraggeber, welche die Größe Gottes auch in den niederen Geschöpfen zu feiern empfahl und im Rückgriff auf die Kunstliteratur der Antike die Lebensechtheit der Malerei befürwortete.
Schon die Natürlichkeit von Myrons Kuh war einst mit der Behauptung gepriesen worden, ein Bulle habe sie bespringen wollen. Oder man schrieb von Weintrauben, die derart echt gemalt waren, daß die Vögel in die Leinwand pickten. Garavaggio arbeitete nicht nach dem Vorbild alter Meister, sondern nach der Natur. Er malte, was er sah. Sein bahnbrechender Naturalismus hat eine lange Wurzel. Ein Blumenbild, bekannte er, koste ihn nicht weniger Arbeit als eines mit Figuren: ein Postulat der Gleichwertigkeit des Stillebens mit dem Historienbild. Das faktengespickte Referat gab einen Eindruck von der detektivischen Präzisionsarbeit des Kunsthistorikers. Notabene: Bei den erbittert geführten Diskussionen um Datierung und Zuschreibung von Kunstwerken geht es um Millionen.