Das Tor zur Weltkunst. Warum Paul Maenz seine Sammlung Weimar gab
Haben nicht Ludwig, Buchheim, Nannen ihre Stiftungen an ihrem Wohnsitz oder an der Stätte ihres Wirkens untergebracht? Als Paul Maenz zur Verblüffung der Kunstwelt seine 1970 in Köln gegründete, renommierte Avantgarde-Galerie genau nach 20 Jahren auf dem Gipfel des Erfolges schloß, machte er noch einmal klar, daß er seine Galeriearbeit einer anspruchsvollen Gestaltung unterworfen hatte. Er habe, sagte er, die Galerie in die Welt gesetzt, und er habe daher auch die Pflicht, sie selbst und bewußt wieder herauszunehmen. Selbstbestimmter Anfang, selbstbestimmtes Ende. Maenz hat seine Galeriearbeit reflektiert und mit moralischem Anspruch betrieben. Läßt sich an seiner Weimarer Stiftung diese Haltung noch wiedererkennen? Heute, da wir alle ironisch sind?
Maenz glaubte immer an die subversive Kraft der Kunst – trotz der Einvernahme durch den Markt. Denn gute Kunst, meinte er, sei ihrem Wesen nach subversiv. Mittlerweile ist das Neue Museum Weimar eröffnet worden, um die Sammlung Paul Maenz aufzunehmen. Die Lobreden zum außerordentlichen Ereignis sind verklungen, Weimar hat mit Feuerwerk und Luftakrobaten begonnen, seine Rolle als europäische Kulturhauptstadt des Jahres 1999 zu spielen. Das Museum muß nun zeigen, was es leisten kann.
Herbert Marcuses berühmter Satz, die Schönheit der Kunst sei – anders als die Wahrheit der Theorie – verträglich mit der schlechten Gegenwart, eine Feststellung, mit welcher die radikalen Intellektuellen Ende der sechziger Jahre die Kunst generell unter Ideologieverdacht stellten, hielt Maenz nicht vom Glauben ab, "daß die Kunst eher offenlegt als überdeckt, nicht zur Tarnung der Verhältnisse, sondern zur Einsicht führt".
Paul Maenz, der andererseits kein Geheimnis daraus macht, daß er weiß, daß die Mark rund ist, verstand sich bei der Veröffentlichung von Kunst stets als Beteiligter: "Zusammen mit den Künstlern, gemeinsam, bildeten wir den Raum, in dem sich das Neue zum ersten Mal zeigen konnte." Seine Galerie sah er als den Ort, wo das Kunstwerk erst wirklich zur Welt kam. "Der erste Schritt des Werks führt in die Galerie, was man sich ruhig wie eine Geburt vorstellen darf." Zwischen der Kunst, die er vertrat, und der Galerie, die er konzipiert hatte, sah er eine Ähnlichkeit: "Ihr Wesen ist dem der Kunst verwandt, und das heißt: Veränderung." Veränderung, die Vorstellung, Kunst werde sich im Bewußtsein der Menschen nachhaltig verhaken, ist, wie ich glaube, auch die Leitvorstellung des Stifters gewesen, seine Sammlung nach Weimar zu geben.
Die Impulse, die Weimar zu einem kulturellen Mittelpunkt werden ließen, kamen meist von außen, was bei einer Kleinstadt nicht weiter wundert. Wieland, Goethe, Schiller und Herder hatten hier die deutsche Klassik begründet, in welcher die Stadt schließlich erstarrte. Zu Anfang des Jahrhunderts brachte Harry Graf Kessler als Direktor des Weimarer Museums die Welt der Moderne in die verschlafene Stadt: die französischen Impressionisten, Rodin. Die Aktzeichnungen aus dem Lande des "Erbfeindes" machten Skandal und zwangen Kessler zur Demission. Zwei Jahrzehnte später scheiterte hier das junge Bauhaus. Walter Gropius übersiedelte nach Dessau. Die Künstlerkolonie war der Bevölkerung verhaßt.
Bereits 1924 war Weimar eine Hochburg der Rechtsradikalen. 1926 hielten die Nazis hier ihren ersten Reichsparteitag ab, auf dem sie sich zu Goethe und Schiller bekannten, "zu der großen deutschen Vergangenheit". Die wahre Hölle wurde im Jahre 1937 auf dem Ettersberg angelegt, einem nur wenige Kilometer von Weimar gelegenen luftigen Hügel, wo Goethe und die Herzogin Anna Amalia im Sommer einst hatten Lustspiele aufführen lassen: das KZ Buchenwald. 1950 benutzten die Kommunisten das ehemalige KZ als Internierungslager für Nazis und Unschuldige. Hitler ließ in seiner Lieblingsstadt direkt vor dem Museum das sogenannte Gauforum für Volksaufmärsche errichten, der Bau verkam in den Zeiten der DDR. Seine Sprengung soll die Furcht verhindert haben, zusammen mit dem Gebäude auch eine tonnenschwere, nicht transportable Skulptur des Olympiers in die Luft jagen zu müssen, was man wohl nicht nur im Westen für "typisch kommunistisch" gehalten hätte.
Und nun Paul Maenz, – "le genereux", der Großzügige, wie ein französisches Magazin titelte. "Wirklich glaubwürdig kann man nur sammeln", sagt der Stifter, "wenn man bereit ist, alles wieder herzugeben. Alles andere ist Spekulation." Maenz weiß, daß Kunst ihrem Wesen nach nicht für Auserwählte, sondern für alle gemacht wird. Die materielle Aneignung des Sammlers ist bloß eine obsessive Abart geistiger Aneignung. Das Museum ist das erste für moderne Kunst in den neuen Bundesländern, deren Bewohner nicht nur unter den Nazis, sondern auch in dem direkt nachfolgenden kommunistischen Regime, d. h. von 1926 bis 1989, von allen wichtigen Entwicklungen der Kunst abgeschnitten waren. An die entschieden kosmopolitische Haltung Goethes anschließend, präsentiert sich das Museum gegenüber den völkischen Reminiszenzen des nationalsozialistischen Realismus wie des auf die "Abbildtheorie" eingeschworenen sozialistischen Realismus als offenes Tor zur Weltkunst, einer Kunst, die sich der Politik nicht unterwirft, einer Kunst, die autonom, also im besten Sinne frei ist. Im Gegensatz zu nationalsozialistischer und realsozialistischer Staatskunst, deren Unterwerfung unter den Willen der Macht an ihrer Vereinseitigung leicht erkennbar ist, wird im Neuen Museum eine Vielzahl von Perspektiven vorgeführt. Hier ist zu besichtigen, was draußen in der Welt inzwischen geschehen ist.
Maenz hat sich mit Weimar/Buchenwald für den Auftritt der Weltkunst einen sehr deutschen Ort gewählt. Erkennbar wird ein kulturpolitisches Konzept. Genau an dem Ort, an dem sich der zum Klischee gewordene Doppelcharakter der Deutschen in Klassik und KZ manifestiert hat, an dem Ort, wo selbstgerechte Provinzialität sich gegen die Anfechtungen urbaner Internationalität sträubte, an dem Ort, der schließlich für viele Jahrzehnte von der Welt abgeschnitten war – das Schlimmste, was einem in der Welt berühmten Ort des Geistes zustoßen konnte – und genau zu dem Zeitpunkt, da dieser Ort als Kulturhauptstadt 1999 wieder seinen alten Rang zurückzuerobern sucht, hat Paul Maenz positioniert, was vielleicht als eine Botschaft gelesen wird: Freiheit und Vielfalt in der Kunst als Einspruch gegen Anpassung und Nivellierung. Kreative Freiheit und Vielfalt sind Dimensionen der Autonomie, sie ist subversiv, weil sie die Vorstellung vom Andersartigen nicht preisgibt. Darin liegt ihre Sprengkraft.