Östlich der Länderpavillons
Wenige Amerikaner, dafür ein beinloser Lenin und Saddam im Aquarium: In Prag finden in diesem Jahr zwei Kunstbiennalen mit internationaler junger Kunst statt
„Würdest du mit Politi schlafen?“, fragt die eine sich räkelnde junge Künstlerin im Video der Slowakin Anetta Mona Chisa. Antwortet die andere: „Höchstens einen Blow Job, aber dafür auf die Titelseite von Flash Art.“ „Und mit Knizak?“ „Nicht für eine halbe Million.“
„documenta des Ostens“ hatte jener Milan Knizak, der Direktor der Nationalgalerie Prag, die erste Prague Biennale vollmundig genannt, die er zusammen mit den Herausgebern des Kunstmagazins Flash Art Giancarlo Politi und Helena Kontova 2003 gründete. Man sprach damals von Lobbyismus, denn der Galeriedirektor soll viele seiner eigenen Schüler untergebracht haben. Mit einem Budget von nur 100 000 Euro war im Veletrzni Palßc eine respektable Schau zustande gekommen, die auf das überholte Konzept der Nationalpavillons der etwa gleichzeitig stattfindenden venezianischen Biennale verzichtete und unter dem selbstbewussten Motto The Peripheries become Centre antrat.
Der Osten war in der Tat überproportional vertreten. Inzwischen aber hat sich Knizak mit Giancarlo Politi derart zerstritten, dass es in Prag nun zwei Biennalen gibt: Knizaks Internationale Biennale im eigenen Hause sowie die von Politi organisierte, wieder von Mineralwasserkönig Mattoni gesponserte Prague Biennale II. Die musste in die Karlin Hall ausweichen, eine säulengestützte, marode Fabrik mit dem Charme des venezianischen Arsenals.
Die Prague Biennale II mit etwa 250, überwiegend in den 70er Jahren geborenen Künstlern, die Hälfte davon aus dem Osten, hat zwei Schwerpunkte: die „expandierende“ Malerei und die „Acción Directa“, politische Kunst aus Südamerika. „Expandierend“ meint eine Malerei, die durch die Absorbierung anderer Medien überlebt. Beispiele dafür: die wunderbar stille Videoarbeit von Luca Rento, der das caravageske Halbprofil eines schlafenden Knaben zeigt, dessen Brust sich beim Atmen kaum merklich hebt. Oder Francesco Vezzolis Hommage an Josef Albers: aus farbigem Stoff geknüpfte Quadrate. Oder Jacob Dahlgreens Wand aus Zielscheiben, auf welche das Publikum Darts wirft, die im Ziel zusammen eine Art roten Schleier bilden. Oder David Ter-Organyans Einsatzplan für eine Operation auf einer Straßenkreuzung (Polizei? Terroristen?) im Stil des russischen Konstruktivismus.
Antiklerikale Fotografie
Die Exponate hängen an langen Stellwänden, die hier und dort von alten Schienen unterlaufen werden, sind aber auch nach Ländern geordnet: die Polen, Tschechen und Slowaken und die Ostdeutschen. Die Tschechen Jan Knap, Milan Kunc und Peter Angermann aus Deutschland haben eine eigene Koje: eine Hommage an die „Gruppe Normal“ aus den achtziger Jahren. Knap malt die Heilige Familie in vollem Ernst in der Art von Fra Angelico – aber Joseph sägend und Maria am Bügelbrett. In den gemeinsam gemalten wilden Bildern überwiegen die abgestanden konsumkritischen Surrealismen der anderen beiden.
Antiklerikale Fotoarbeiten bei den Polen: die nackte Madonna bei der ersten Menstruation oder als Pieta mit einem abgefeimt blickenden, lebenden Christus (Katarzyma Górna). Eine andere Fotoarbeit präsentiert die Olympia nach Manet als kahle, chemotherapierte Krebskranke (Katarzyma Kozyra). Eine Stellwand ist den fotogestützten, grauen Bildern des politischen Realisten Gian Marco Montesano gewidmet.
Unter den sehr glatt malenden Chinesen fällt das schöne Bild von Yang Quian auf, welches als Handy-Foto den Kopf einer Frau zeigt, die einen durchsichtigen Schleier über ihr Gesicht zieht. Bei den Tschechen und Slowaken geht es derber zu: masturbierende Jungnazis, der gefesselte Saddam als Hai im Aquarium à la Damien Hirst (David Cerny) und der penetrante Kristof Kintera, der 2003 durch eine aus einer Einkaufstüte krakeelende Gurke nervte: diesmal ist es ein Kapuzenkind, das sein Gesicht gegen die Mauer schlägt. Bescheiden wie stets der legendäre Jiri Kovanda, der nur ein paar Kekse in die Wand gedrückt hat.
Die Ostdeutschen, unter ihnen Tim Eitel, malen atmosphärische, narrative Bilder, die gegenüber den direkten Polen, Tschechen und Slowaken verschlossen anmuten.
Die mit Dokumentationen und Videos arbeitende Acción Directa, – dabei auch Santiago Sierra, der auf der letzten venezianischen Biennale mit seinem Besucher-Ausschlussverfahren aus dem spanische Pavillon Aufsehen erregte, weil nur eingelassen wurde, wer einen spanischen Pass besaß – zeigen die Verbrennung von Fahnen, den Aufbau eines Kulturzentrums in einer Favela, eine junge Frau, die ihre Füße immer wieder in eine Schale Blut tauchend auf der Straße Blutspuren markiert (Regina José Galindo aus Guatemala erhielt jüngst auf der 51. Biennale in Venedig den Nachwuchspreis), eine Verkaufsstandsbehausung aus Klapptischen von Alexandre da Cunha aus Brasilien.
Die Arbeiten sind programmatisch plakativ. Eine eigene Koje ist kinetischer Kunst gewidmet – aktuell nur, insofern wir ja den Kinetikern systematische Arbeiten zur Wahrnehmung verdanken: ein ewiges Thema der bildenden Kunst, warum dies aber heute und hier thematisiert wird, bleibt offen.
Den Gegensatz zwischen der improvisierten Schau in der kaputten Fabrik und der aufwändigen, mit einem Heer von Kuratoren konzipierten Ausstellung in der Nationalgalerie kann man durchaus genießen. Auch hier wird man von Chinesen empfangen: das vergoldete, burgartige Gebilde aus Mao-Köpfen (Wang Wenhei), die auf den Rücken tätowierte Karte des „Großen Marsches“ (Qin Ga) und der berühmte Bau und Einriss einer Ziegelmauer in der Galerie (Wang Wei) sind spektakulär.
Hervorgehoben seien Tatyana Hengstler aus Russland, die höchst vergängliche Zeichnungen auf schmutzigen Autos hinterlässt, eine einfache Metapher ist die Installation aus vier selbstbezüglich angeordneten Registrierkassen des Deutschen Florian Langmaack, ein Video von Sara Muzio zeigt im Keller die lebensmutigen Bewohner einer Favela beim Boccia- Korbball- und Dominospielen, das Video von Deimantas Narkevicius kehrt die beklatschte Demontage einer Leninskulptur zur beklatschten Montage um (der beinlose Lenin schwebt am Kran wie ein segnender Engel).
Mainstream und Provinz
Ebenso poetisch wie witzig ist die langsame Videoarbeit von Corinna Schnitt aus Deutschland, The sleeping girl. Im ersten Stock vier sehr schöne Brandbilder des Exiltschechen Jiri Georg Dokoupil und dann der riesige Saal mit etwa 100 dicht gehängten Bilder tschechischer Maler, darunter mancher Debütant, die Milan Knizak persönlich ausgewählt hat: durchweg sehr provinzielle Arbeiten.
Unter den von Adam Budak kuratierten Künstlern im Kinsky-Palais – die Dependance in der Altstadt – findet man den seit seinem KZ aus Lego-Bausteinen berüchtigte Zbigniew Libera, der weltbekannte Dokumentarfotos (das angstschreiende vietnamesische Mädchen, die Durchbrechung des Schlagbaums an der Grenze zu Polen durch deutsche Soldaten) als Vorlagen zynisch ins Heitere umarbeitet. Wohlgenährte KZ-Insassen lachen da hinter einem Gatter aus Bindfäden.
Östliche Künstler sind auch diesmal sehr stark vertreten, es gibt nur wenige Amerikaner. Wer die Zeit hat, beide Shows zu besuchen, deren Konzepte einander nichts tun, wird eine interessante Biennale sehen, die allerdings das hochgehängte Motto „A Second Sight – Shifts and Transformation of Identity“ (Knizak) am Objekt kaum einlösen kann, „Kaleidoskop“ (Politi) schon eher. Mainstream und Provinz, kein Trend in Sicht.
Zwei Biennalen
Bei der ersten Prague Biennale vor zwei Jahren noch Partner, haben sich die Kuratoren Giancarlo Politi und
Milan Kniza derart zerstritten, dass es in Prag nun zwei Biennalen für zeitgenössische Kunst gibt:
Die „Prague Biennale II“ , Karlin Hall, bis 15. September 2005, und
die „Internationale Biennale“, Nationalgalerie, bis 11. September 2005