Lange Nase, breites Kinn
Lebendiger Klassizismus: Anton Raphael Mengs in Dresden
Er war im 18. Jahrhundert der einzige deutsche Maler von internationalem Format und der höchst bezahlte seines Jahrhunderts. Er arbeitete als Oberhofmaler in Dresden für August III., in Madrid für König Karl III. und in Rom für Papst Clemens XIII. Er konkurrierte mit Tiepolo und maß sich an Correggio und Raffael. Er war nicht nur ein hervorragender Zeichner sondern brillierte auch als Maler eleganter Stofflichkeit. Anton Raphael Mengs (1728–1779) war eng befreundet mit Winkelmann, der den Frühklassizisten für den größten Maler seit Raffael hielt. Denn Mengs kehrte programmatisch zur Vorbildlichkeit von Antike und italienischer Hochrenaissance zurück. Auch Goethe war vom Überwinder des Barock angetan. Nach seinem Tod wurde Mengs stark abgewertet. Sturm und Drang lehnten den Klassizismus wie die Romantiker ab. Schlegel verurteilte Mengs Eklektizismus hart: „Das Vortreffliche in der Kunst lässt sich nicht aus verschiedenartigen Ingredienzen zusammen setzen.“ Tatsächlich hatte Mengs gefordert, „aus dem ganzen Schauplatze der Natur das Schönste zu wählen“ und zusammen zu setzen, um eine Idealisierung zu erreichen, welche nach platonischer Auffassung die Schönheiten der Natur übertreffen soll. An Raffael bewunderte er, „dass seine Schönheiten, Schönheiten der Vernunft und nicht der Augen sind.“ Roberto Longhi, der große italienische Kunsttheoretiker, verurteilte Mengs als kopflastig und "zu deutsch" und sah in ihm nur den Verkünder der Winkelmannschen Kunstdiktate.
Die von Steffi Roettgen konzipierte Ausstellung im Dresdener Schloss mit dem Titel Die Erfindung des Klassizismus beansprucht die Wiederentdeckung des in dritte Glied zurückgedrängten Malers. Er habe die Rückbesinnung auf die Geschichte zum Programm erhoben, darin liege seine Aktualität. Aktualität auch für die Kunst heute? Die repräsentative Auswahl, darunter etwa 50 Ölgemälde, die zuvor in Padua zu sehen waren, beginnt mit einer Reihe von Selbstporträts, die den Zwölfjährigen schon als virtuosen Zeichner, den jungen Maler in der stolzen Pose Raffaels, den Älteren als pictor doctus und den 51-jährigen als resignierten kranken Mann zeigen. Während die Bildnisse heiliger Frauen mit schwimmenden Augen, glatten Marzipangesichtern und knochenlosen Körpern trotz der Delikatesse der Draperien heute ebenso wenig beeindrucken wie die glatten Historienbilder à la Guido Reni oder Caracci, erstaunt man über die außerordentliche Lebendigkeit der Porträts, die Mengs von seinen fürstlichen Auftraggebern geschaffen hat. Nie hat man einen Fürsten unter der langen Habsburger-Nase so schelmisch lächeln gesehen wie den König von Spanien. Die Bildnisse des Kurprinzen Friedrich Christian von Sachsen, in Untersicht gemalt, die sein riesiges Kinn noch stärker hervortreten lässt, platzen geradezu vor Leben. Auch die offiziellen Porträts halten nicht eine herrscherliche Pose fest, sondern einen quasi privaten Augenblick. Es ist, als hätten die Portätierten gerade gesprochen oder würden im nächsten Moment den Mund öffnen. Wie lebendig das Pastell des italienische Tenors Domenico Annibali! Das ist gerade nicht, was man von einem distanzierenden Klassizismus erwartet und die eigentliche Überraschung der Ausstellung. Aber sogar die Gesichter der Damen sind wortwörtlich ansprechend. Mengs schönte nicht einmal das apoplektisch rote Gesicht der Kurfürstin von Sachsen.
Das Portrait des venezianischen Papstes Clemens XIII, nach dem Vorbild von Raffael, zeigt Mengs als erstrangigen Künstler. Er soll übrigens während der Arbeit auch an Porträts seiner Heiligkeit laut gesungen und gepfiffen haben. Man nannte Mengs nach seinem Vorbild den „deutschen Raffael“.
Bis 3. September 2001.