La Cina è vicina
Künstler aus dem Reich der Mitte in Weimar
Chinesen in Weimar. Walter Smerling und Dieter Ronte hatten sie schon vor einigen Jahren nach Bonn, Harald Szeemann hat sie auf die letzte Biennale nach Venedig geholt. Wo sie auffielen, nicht, weil sie in der Kunst neue Wege gehen, sondern weil es Chinesen sind: Vertreter eines mächtigen, geheimnisvollen Landes, das sich im Umbruch befindet.
Die in Weimar gezeigten Arbeiten sind von ungleicher Qualität. Die aus dem Sozialistischen Realismus bekannte Instrumentalisierung der Kunst zur Übermittlung von Botschaften wirkt nach. Sie führt oft zu einer flachen, lesbaren Symbolik, die unserem westlichen Kunstverständnisvon der Eigenständigkeit der Kunst nicht entspricht. So verspottet etwa Lu Hao die Undurchsichtigkeit der Bürokratie mit durchsichtigen Plexiglas-Modellen von Regierungsgebäuden. Überdeutlich auch die Anspielungen, die Yue Minjun mit den in Reih und Glied stehenden, lebensgroßen und völlig identischen Männern gibt, die – wie Gefangene die Arme im Nacken verschränkt – mit fest geschlossenen Augen lauthals lachen. Auch die säulenartig aufeinander stehenden Männer, die eine Autobahnbrücke zu stützen scheinen, sind als Ironisierung des Fortschritts kaum misszuverstehen (Foto einer Performance von Wang Jin).
Unter dem Titel Our Chinese Friends zeigen neudeli, die Galerie der Bauhaus-Universität, und die ACC-Galerie an zwei Orten 16 chinesische Künstler, von denen einige auf der Biennale waren. Die Titel gebende Arbeit Our Chinese Friends stammt von Ingeborg Lüscher (alias Ying-Bo), der einzigen Nicht-Chinesin. Die Video-Arbeit zeigt eine Runde vergnügter Chinesen und Chinesinnen, die hingebungsvoll so etwas wie das Kinderspiel "Schere, Stein, Papier" spielen und sich königlich amüsieren. Die Arbeit bezauberte schon in Venedig durch die Unbefangenheit der Protagonisten.
Das brisante Thema des neuen Individualismus schlägt Chang Yugong mit den Konterfeis der Neureichen an, die er mit Schoßhund und Handy fotografiert und dann in poppigen Farben in Seide sticken lässt. Die in einer Aureole naiv und stolz grinsenden Emporkömmlinge agieren vor Ort vermutlich brutal. Den aufgeblasenen "homo novus" thematisiert Zhou Tiehai in einer anderen Version mit Fotomontagen, die sein eigenes Gesicht, seine Sprüche und Ideen dem Cover von bekannten westlichen Magazinen implantieren.
Auch Zhuang Hui, der schon 1997 auf der Art Cologne auffiel, thematisiert das zentrale Problem von Individuum und Gesellschaft. Mit Hilfe einer Spezialkamera fotografiert er ganze Belegschaften: Hunderte von nebeneinander aufgereihten Polizisten, Werks- oder Krankenhausangestellten repräsentieren jeweils ein Kollektiv, in China noch immer die kleinste soziale Einheit. Es starrt den Betrachter von den bandbreiten Panoramafotos als vieläugiges Ganzes an. Doch nähertretend sieht man in höchst verschiedene, individuelle Gesichter, auch in das des Künstlers.
Elegant wirkt Huis Arbeit durch ihre Einfachheit: Belegschaftsfotos sind in China üblich, doch ohne Herrn Hui, der nur durch die Kunst dazugehören kann. So benutzt er eine Tradition und bricht sie zugleich. Den Bezug zur Tradition halten andere Künstler durch die herkömmliche Machart, etwa die Stickerei. Oder Ai Wei Wei:Er baut aus antiken Möbeln Skulpturen zusammen; und Wang Jin lässt ein kaiserliches Prunkgewand aus transparentem PVC herstellen und mit Nylonfäden besticken. Auch Qui Shi-Hua verbindet Tradition mit der Anmutung moderner Kunst: Wenn man seine großen Weißen Bilder lange anschaut, wachsen daraus die Schatten chinesischer Landschaften hervor. Mit dem Faszinosum der Leere arbeitet ebenso Xie Nanxing, dessen zwei große Ölgemälde unserem Kunstverständnis am nächsten kommen: ein bedrückend leerer Raum mit unheimlichen Spuren an der Wand, zum anderen ein Schleier mannshoher, blauer Gasflammen. Auffallend das riesige Portrait von Harald Szeemann mit der Miene des Erlösers (Zhou Tiehai): Die chinesischen Künstler verdanken ihm viel.
(Bis 27.8.2000)