Bilder und Zeichnungen von Jean Dubuffet in Saarbrücken
Jean Dubuffet hat Strichmännchen, Graffiti und Dreck in die Kunst eingeführt hat. „Jeder Mensch kann malen, so wie jeder Mensch sprechen kann“, sagte er. Mit 80 Gemälden und 60, zum Teil sehr witzigen Papierarbeiten (etwa „Der Pisser, rechtsrum“), feiert das Saarland- Museum in Saarbrücken seine Wiedereröffnung nach der Renovierung. Dubuffet, der ehemalige Weinhändler, der Philosophie studierte und mit dem Sprachvirtuosen Raymond Queneau („Zazie“, „Autobus S“) zur Schule ging, misstraute der Sprache. Der Ausbruch aus dem Gefängnis der Begriffe, die die Welt vernageln, haben Künstler immer wieder versucht, doch kaum einer hat sich der Tradition des europäischer Bild- und Sprachsystems so radikal entzogen wie Dubuffet. Er verstand seine Malerei als ein anderes, assoziatives und sprunghaftes Sprechen, das näher an den Dingen ist, weil es nicht analytisch trennt, klassifiziert und fixiert, sondern in den alltäglichen Zusammenhängen belässt. Die Collage ist für ihn eine Grundhaltung, nicht bloß ein technisches Verfahren.
Die Saarbrückener Ausstellung ist chronologisch nach Werkgruppen geordnet. Das erste Bild „Desnudus“ (Entkleideter, 1945) zeigt einen männlichen Körper, der wie ein Barockgarten angelegt ist, eine symmetrische Körperlandschaft. Das Thema setzt sich fort, etwa in den Bildern aus der Serie „Damenkörper“ (1950): Mensch und Erde sind noch eins, sind vom selben Stoff, hängen zusammen. Für Dubuffet gibt es keine hässlichen Dinge. Erde, Abfall, Schmutz, eine aus den verschiedensten Materialien zusammengerührte Masse, in die er mit dem Finger oder mit Instrumenten ein hoch komplexes Durcheinander herstellte. Auch seine vulgären Kritzeleien, haben jene vorbegriffliche Urtümlichkeit und Unmittelbarkeit, wo Gedanken und Gefühle noch roh und unschuldig sind. Dubuffet brachte das Chaos, den Urschlamm in den Bilderrahmen, das Fließende, Formlose, in dem alles noch zusammenhängt und aus dem alles werden kann: Figuren, Landschaften und Gesichter tauchen aus dem Chaos auf, so unästhetisch, so unordentlich sehen sie aus. Die Bilder sind primitiv, Kritzeleien wie von Kindern, „Wilden“ oder Geisteskranken, deren Arbeiten Dubuffet studiert hat. „Ich habe ein Leben lang gebraucht, um wie ein Kind zu zeichnen,“ hatte Picasso einst bemerkt.
Das Denken und die Wahrnehmung sind für Dubuffet sprunghaft, fragmentarisch und bewegen sich um die Dinge herum. Das europäische Denken dagegen ist für ihn ein Herrschaftsapparat, der hierarchisch klassifiziert und das, was tausend Aspekte hat, zu unverrückbaren Identitäten gefriert. So gibt es bei Dubuffet keine Komposition und keine Perspektive, die in die Bildfläche geklappten Landschaften haben den Horizont knapp am oberen Bildrand. Der chronologische Umgang kreist um die in der Rautenmitte aufgebauten Exemplare aus dem Kosmos „Hourloupe“. Das Malen als assoziativ springendes, ausuferndes Sprechen hat Dubuffet in „Hourloupe“ systematisiert. Es handelt sichumeine ornamentale Bildschrift aus kleinen ineinandergreifenden Teilen, ein puzzleartiges Netz, das alles überzieht und alle Besonderheiten des dargestellten Gegenstandes einebnet.
Auch bei den Porträts ging es nicht um die Ähnlichkeit. Denn „Aufmerksamkeit tötet alles“, weil sie festlegt. Die Wahrnehmung soll fließend bleiben. Nach dem gleichen Prinzip des fragmentarischen Sehens aus verschiedenen Blickpunkten schuf der Künstler Skulpturen. Die Skandale, welche Dubuffets Arbeiten einst auslösten, entsprangen nicht einer Anti-Haltung im Sinne des Dadaismus‘. Dubuffets Kunst war nicht anti, sondern anders. Schmutzfarben und Abfall verwendete er nicht konsumkritisch wie viele nachfolgende Künstler. Seine Kunst ist wild, anarchisch, dreckig, roh: „Art brut“ – Kunst im Rohzustand.