Galerie Mathias Güntner. Hamburg
23. Juni – 24. Juli 2016
Sid Gastl
Charlotte Posenenske
Martina Wolf
Charlotte Posenenske
Spachtelarbeit
Taunus-Landschaft
ca. 1961
WVZ 52
Konzeptuelle Landschaften Auf den Bildern von Jacob Ruisdael, des berühmten niederländischen Landschaftsmalers des Barock, versperren manchmal Wasserfälle, Tümpel, umgestürzte Bäume oder Dickicht den Eingang: man kann das Bild visuell nicht betreten wie etwa dann, wenn dort ein Weg hineinführt wie bei anderen Malern, etwa Hobbema oder Constable. Thematisiert ist ein unüberwindbares Hindernis und damit die Vergeblichkeit aller Mühe. Die oft quer übers Bild ragenden, abgestorbenen weißen Birkenstämme werden – wie in den Stillleben dieser Zeit die verlöschende Kerze oder das umgefallene Glas – als Symbol des memento mori gelesen. Caspar David Friedrich, der große Landschaftsmaler der deutschen Frühromantik, hat sich an Ruisdael orientiert, man denke etwa an das berühmte Gemälde, auf dem sich auftürmende Eisschollen den Zugang versperren. In dieser Tradition stehen die Landschaftsbilder des in Nürnberg geborenen, jetzt in Berlin lebenden Malers Sid Gastl. Sie sind von Melancholie geprägt. Auch Martina Wolfs Videos handeln oft von visuellen Versperrungen, allerdings nicht melancholisch, es geht um Wahrnehmungsprobleme. Ganz anders das Lebensgefühl, das die kleinen Landschaftsbilder von Charlotte Posenenske erkennen lassen: um 1961 mit breiten Spachtelhieben strukturiert, erscheinen sie licht und transparent. Gastls undurchsichtige Waldbilder zeigen dagegen ein Dickicht oder führen ins Dunkle. Das Licht versickert. Wenn man dort eindringt, verläuft man sich und kehrt nicht mehr zurück. Andere großformatige Gemälde zeigen ein vereistes Wohnzimmer, ein Labyrinth, ein Lager im Mondlicht, die allesamt bedeuten: hier kann man nicht leben. Mit den so unterschiedlichen, zeitlich durch ein halbes Jahrhundert getrennten Landschaftsbildern der drei (beiden) Künstler werden Beispiele aus zwei langen Entwicklungen miteinander konfrontiert: die dunkle, problematische Seite der Kunst geht letztlich auf Michelangelo zurück, die helle Seite – positiv und an der Geometrie orientiert – auf Raffael. Posenenskes frühe Landschaftsbilder stehen kurz vor der Abstraktion – der letzten Phase ihrer Arbeit als Malerin. Dann wird sie stereometrische Objekte herstellen. Die Renaissance – als Aufbruch in die Moderne verstanden - blieb immer ein wichtiger Bezugspunkt ihrer Kunst. Nach dem Sacco di Roma (1527), des grauenhaften Gemetzels bei der furchtbaren Plünderung Roms durch deutsche Landsknechte und spanische Söldner - in seiner Schockwirkung derjenigen von 9/11 auf die USA vergleichbar – hat sich der Manierismus entwickelt, verrätselt, perspektivisch verdreht, düster, hoffnungslos. Hier sind die tiefsten Wurzeln von Sid Gastls Arbeiten. Burkhard Brunn