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Little Big City (15): Garbage

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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Presswagen

Bügelbrett, Eisschrank, Couch, Fernseher, Spülbecken, Spiegel: Sperrmüll. Er gehört wie die Fäkalien, das Schmutzwasser und die schlechte Luft zu den Ausscheidungen einer westdeutschen Großstadt vom Kaliber Little Big City. Was nicht für den Flohmarkt ausgemustert wird, kommt in den Sperrmüll. In Rumänien erzählt man sich, dass die Deutschen zu bestimmten Zeiten ihr Mobiliar auf die Straße stellen, um sich alles wieder neu zu kaufen. Jeder, der will, könne sich die Sachen mitnehmen. Man müsse also nur mit einem großen Anhänger nach Deutschland fahren, denken sie.
Herd, Papierkorb, Nachtschränkchen, Regalbretter, Fahrrad, Stehlampe: Sperrmüll. Die ausrangierten Gegenstände säumen den Bürgersteig. Hin und wieder bleiben ältere Leute stehen und begutachten dies und jenes. Dieser Anblick ist typisch für die Großstadt.
Während in Little Big City die FES ab sechs Uhr morgens ihre sechs "Tandems" ausschickt – einen "Presswagen", in dem der Kram zusammengedrückt wird bis es hässlich knackt, und einen Lastwagen der "Werkstadt Frankfurt", der die noch ausschlachtbaren Kühlschränke und Waschmaschinen auflädt – müssen die Einwohner kleiner Kommunen ihre Wohnreste persönlich zum Baumarkt transportieren.
Unsere Urgroßeltern schafften ihre Möbel für das Leben an. Heute dagegen gibt es "Besserverdienende", die ihre Einrichtung nach fünf Jahren auswechseln. Mit jeder neuen Wohnzimmergarnitur haben sie dann das Gefühl, ein neues Leben zu beginnen. Sie geben sich ein neues "image", ganz wie man es längst mit dem Wechsel des Autos oder der Kleidung tut.
Auch die Wohnungseinrichtung unterliegt der Mode. Die größer werdende Mobilität begünstigt den Trend zum Wechseln. Gegen die hundertste Design-Version von Korkenzieher und Klodeckel bietet ein gewisses Edel-Versandhaus Artikel von anno dazumal an, die so solid verarbeitet sind, dass man sie noch seinen Enkeln vererben kann. Die freuen sich dann über ein unzerstörbares Küchensieb oder den "Garderobenständer Alte Nicolaischule".
Gartenstuhl, Sonnenschirm, Staubsauger, Bettgestell, Radioapparat: Sperrmüll. "Wegwerfgesellschaft" ist der kritische Begriff für die Überflussgesellschaft, in der viele von allem zuviel haben. Wer zuviel hat, könnte abgeben. Man könnte, was man nicht wegwerfen, aber loswerden will, weil es abgenutzt ist oder nicht mehr gefällt, auch verschenken. Aber wem, wenn die anderen auch von allem zuviel haben? In herrschaftlichen Häusern fragte man die Dienstboten: "Hertha, können Sie das vielleicht gebrauchen . . .?"
Wer aber kennt schon heute einen richtigen Armen persönlich. Und falls doch, kann man ihm den ollen Stuhl wirklich zumuten? Vielleicht ist er gekränkt. Oder hat Geschmack.
Türen, abgeschlagene Schränke, Latten, Autoreifen, Plastiktonnen: Sperrmüll. Früher improvisierte man im Schrebergarten aus den Resten eigenartige Behausungen für das Wochenende. Heute gibt es fertige Gartenhäuschen, die wie kleine Schweizerhäuser aussehen.
Aber das Wegwerfen hat auch seine philosophische Seite. Diogenes, "der Hund", der ja in einer Tonne wohnte, hat nicht nur den großen Alexander gebeten, ihm aus der Sonne zu gehen, sondern auch das letzte fortgeworfen das er besaß: einen Becher. Er warf ihn fort, als er einen Knaben mit den Händen Wasser trinken sah. Der kynische Philosoph wollte nicht von Dingen abhängig sein, die er nicht unbedingt brauchte. Denn davon abhängig zu sein, auch das erschien ihm – zu Zeiten der Sklaverei höchst feinsinnig – als Einschränkung der Freiheit.
Auch in der Bibel steht, man solle sein Herz nicht an die irdischen Dinge hängen. Und so gibt es in einer Gesellschaft, deren Ökonomen uns dringend zum Konsumieren raten, damit "die Konjunktur wieder anspringt", gegen das Wegwerfen nicht viel einzuwenden. Besitzen? Ja, schon. Aber doch nicht immer dasselbe.

Frankfurter Rundschau v. 21.05.2003, S. 12