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Little Big City (20): Beggars in the City

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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Barmherzigkeit

"Zwei arme Hunde bitten um eine milde Gabe", steht auf dem Pappschild, daneben liegt der Hund, dahinter hockt sein Herr, der offenbar eher auf Tier- als auf Nächstenliebe vertraut. Ein Stück weiter in der Nähe eines Kaufhausportals das Schild: "Betteln ist besser als stehlen." Der Ärmste weist höflich darauf hin, dass er – notfalls – auch anders könnte. An der Katharinenkirche steht die alte Frau, mit Stock, zitternd.
Es ist nun einmal so, dass eine Metropole sich von anderen Großstädten nicht nur durch einen Flughafen, eine U-Bahn, Hochhäuser und Fahrradkuriere unterscheidet, sondern auch durch ihre Bettler. Sie wohnen auch in Little Big City nicht am Ort, sondern kommen allmorgendlich mit dem Zug aus dem Umland. Denn einer, der in einer Kleinstadt Arbeit und Achtung verloren hat, setzt sich dort nicht den Blicken seiner Mitbewohner und Kollegen aus.
Bettler machen es sich nicht, wie sie doch könnten, auf Schemeln bequem, sondern drücken ihre soziale Niedrigkeit symbolisch aus, indem sie auf dem nackten Boden hocken und den Blick gesenkt halten, als schämten sie sich. Es ist die Anonymität der Großstadt, die ihnen Schutz und nach der Wahrscheinlichkeit die größte Überlebensmöglichkeit bietet.
Betteln gilt als die elendste Art, Geld zu machen, die sogar von den Obdachlosen verachtet wird. Verachtet wird die zur Schau gestellte Hilflosigkeit eines Erwachsenen, der unfähig ist, für sich selbst zu sorgen. In einer Gesellschaft, in welcher die Menschen ihr Selbstbewusstsein über die Findigkeit beziehen, mit der sie sich ihren Lebensunterhalt beschaffen, ist der Bettler ein Nichtskönner.
Bettler gehören seit den ältesten Zeiten zum Stadtbild. Großstädte, in denen sie fehlen, lassen die Frage aufkommen, wo sie denn sind und wer sie entfernt hat. In alten Zeiten umlagerten sie die Kirchenportale – der günstigste Ort, da die Gläubigen wenigstens drei Mal täglich zur Messe gingen. Die Barmherzigkeit war tätiger Ausdruck der Nächstenliebe, das oberste Gebot der Christenheit. Die Wohlhabenden waren gewohnt, der Armut jederzeit ins Gesicht zu blicken und ihr Gewissen zu prüfen. Armut galt nicht als Schande, da Christus selber arm gewesen war. Ja, sie war sogar ehrenhaft, wie die Existenz von Bettelorden belegt.
Doch war das Überhandnehmen der Bettelei auch früher ein Problem. Schon im 15. Jahrhundert gab es daher Polizeiverordnungen, aber auch obrigkeitliche Bettelbriefe, in denen in besonderen Fällen das Recht auf Mildtätigkeit anerkannt war.
Noch heute gibt es in Lissabon den Elefantenmann, dessen Gesicht durch eine grauenhafte Hautkrankheit verunstaltet ist. Er tritt aus dem Schatten einer Nische des großen Platzes (am Rossio) und hält dir, wenn du angesichts des entsetzlichen Anblicks zusammenfährst, ein Beglaubigungszertifikat entgegen. Seine Krankheit ist seine einzige Einnahmequelle.
Auf dem Römerplatz bewegte sich unlängst ein in den Gelenken scheußlich verdrehtes Geschöpf spinnengleich auf Händen und Füßen auf die Passanten zu, ein andermal sah man in der Liebfrauenstraße einen fremdländischen Menschen knien, der den Kopf in unerträglicher Demutshaltung auf das Pflaster stützte. Diese Art der Selbsterniedrigung läuft unserem abendländischen Menschenbild zuwider, das auch dem Elendsten eine Würde als bloßer Mensch zuerkennen möchte.
Lieber geben wir in Little Big City einem Bettler, der etwas leistet – und dadurch im Grunde kein Bettler mehr ist. So konnte man in diesem Jahr auf der Zeil einen lahmen Mann sehen, der einen roten Ball derart virtuos auf seinen Krücken balancierte, dass er hätte im Tigerpalast auftreten können. Er hatte nicht nur bald einen vollen Hut, sondern erhielt auch Applaus. Er hatte aus der Not eine Tugend gemacht und führte ein respektables Trotzdem vor. Das imponiert.
Am ehesten geben wir aber dann, wenn wir keine soziale Kluft zu überwinden haben: etwa einem jungen Bettler, der uns offen und gerade (anständig) ins Gesicht blickt, freundlich lächelt und unaufdringlich wie beiläufig fragt: "Entschuldigen Sie, mir geht es nicht so gut. Könnten Sie mir vielleicht ein bisschen Geld schenken?" Mein Gott, das könnte der eigene Sohn oder Enkel sein! Und betroffen fingert man die Börse hervor.
Der Junge hat soziales Gespür, denn er spricht nur die an, die dem Milieu angehören, aus dem er selber stammt. Und das direkt vor der Deutschen Bank. Ja, er kann es hier schaffen. Er ist clever.

Frankfurter Rundschau v. 25.09.2003, S. 14