Daniel Marzona. Berlin
21. November 2015 – 30. Januar 2016
Julian Fickler
Olaf Holzapfel
Charlotte Posenenske
Michael Reiter
Gedi Sibony
Martina Wolf
Ausstellungsansicht. Charlotte Posenenske, Gedi Sibony, Martina Wolf. Daniel Marzona. Berlin 2015
REDUZIEREN Aller Minimalismus impliziert eine Reduktion, denn um minimieren zu können,muss etwas da sein, das reduziert werden kann. Addieren und subtrahieren oder akkumulieren und reduzieren sind die basalen Akte. Die Reduktion kann – wie bei der amerikanischen Minimal Art – entweder von vornherein konzipiert sein oder aber sich als eine Folge von Arbeitsschritten nach und nach vollziehen.
Bei der Wahrnehmung ist das Reduzieren eine alltägliche Operation. Konfrontiert mit der Überfülle visueller Phänomene treffen wir meist eine Auswahl nach den handlungsrelevanten Aspekten. Nach einem Blick über das Ganze interessiert nur noch ein Ausschnitt. Diese Selektion ist zugleich eine kognitive Reduktion von Komplexität. Das Ausmaß der Reduktion richtet sich nach der Handlungsrelevanz. Auch jede Behauptung – jede These – ist als Entscheidung eine Reduktion, darum exklusiv, insofern der Sprecher auf alle möglichen anderen Thesen verzichtet.
Nach der Handlungsrelevanz richten sich diese beiden geläufigen geistigen Operationen auch praktisch. Sie folgen einem ökonomischen, einem technischen, einem ästhetischen, einem moralischen Prinzip oder einer Mischung. Die Herstellung eines Gebrauchsgegenstands erfolgt ökonomisch, insoweit dabei aus dem geringsten Einsatz von Ressourcen (Arbeitskraft, Zeit, Raum, Energie, Material) das Kosten günstigste Produkt resultiert. Technisch betrachtet geht es darum, den größten Wirkungsgrad zu erzielen, d.h. alle Arbeitsschritte, die nicht zielführend sind, zu eliminieren. Das führt zu einer Vereinfachung. Ästhetisch betrachtet, richtet sich die Form eines modernen Gebrauchsgegenstands nach seiner Funktion. Auf die Dekoration – als ein der Funktion äußerlicher Aspekt – wird im modernen Design verzichtet. Die Schönheit des Gegenstands ist ein Resultat nicht seiner Verzierung, sondern seiner umstandslosen Benutzbarkeit. Aus mehr oder weniger moralischen Gründen hatte einst Diogenes seinen Becher fortgeworfen, als er einen Knaben mit der hohlen Hand Wasser schöpfen sah. Er verzichtete auf Eigentum – das als aller Laster Anfang galt. (Christliche Todsünden sind Geiz, Habgier, Neid). Moralisch handelten auch alle religiösen Asketen, die auf die Erfüllung leiblicher Bedürfnisse verzichteten. Vereinfachung, Bedürfnislosigkeit, Sparsamkeit, Verzicht sind Ausdrucksformen des Reduzierens. In der Kommunikation gilt kurz angebunden zu sein als unhöflich. Gleich zur Sache zu kommen übergeht den Status des Adressaten. Befehle sind besonders kurz. Die kurze Rede galt zu allen Zeiten als Sache des Herrn, als männlich. (Caesar: „Veni, vidi, vici.“)
Weitschweifiges Reden blieb bestimmten Professionen überlassen: Erzählern, Juristen, Professoren, Priestern, Verkäufern. In der Kunst gibt es die Tendenz, das Reduzieren bis zum Gehtnichtmehr zu treiben. Gute, d.h. radikale Kunst geht bis zum Äußersten, bis zum Rand, bis zum Nichts. Jenseits des Randes ist die Leere, das Schweigen, die Stille – die Nicht-Kunst, der Alltag. Auf dem Terrain der Kunst wird das Aufhören zum letzten reduktiven Schritt. Die ausgestellten Arbeiten von Julian Fickler, Olaf Holzapfel, Michael Reiter, Gedi Sibony, Charlotte Posenenske und Martina Wolf stehen in dieser Tradition. Burkhard Brunn