Back Stage: Die Rückseite [3]

Galerie Thomas Rehbein: Köln

25. Mai – 7. Juli 2018

William Anastasi
Kirstin Arndt
John Beech
Cécile Dupaquier
Charlotte Posenenske
Franziska Reinbothe
Michael Reiter
Gerwald Rockenschaub
Willy de Sauter
Rob Scholte
Martina Wolf


Ausstellungsansicht. Galerie Thomas Rehbein: Köln. 2018

 

Backstage: die Rückseite. Der „Barberinische Faun“ in der Münchener Glyptothek hat eine raue Rückseite, denn er schloss ursprünglich an eine Gartenmauer an. Er schläft und ist vermutlich betrunken. Zwischen seinen breit gespreizten Beinen lässt er ohne Scham sein Gemächt sehen. Im 19. Jahrhundert führte der Wärter die Damen an der schockierenden Schauseite vorbei zur Rückseite: dort, kaum sichtbar, lugt ein Schwänzchen hervor: Gottlob, er ist ein Tier! Die Schauseite eines Kunstwerks zaubert Illusionen (ein wohlgebauter Jüngling), die verdeckte Rückseite birgt die Wahrheit (ein Tier). An die unausweichliche Wahrheit mahnt auch die Figur der „Vanitas“ am Straßburger Münster: vorn eine schöne Frau, aber der Rücken ein Nest von Würmern - ein drastisches Symbol der Vergänglichkeit. Im Theater heißt das, was hinter der Bühne vorgeht, „backstage“. Dort – vor dem Publikum verborgen – befinden sich die technischen Vorrichtungen, die vorn das Schauspiel ermöglichen. Es sind die nicht-ästhetischen Arbeitsbedingungen. Auf der Bühne die bezaubernde Diva, backstage der unordentliche Schminktisch etc. Das Centre Pompidou hat keine Fassade, keine Schauseite. Man blickt direkt ins Gedärm von Renzo Pianos Gebäude: Rohre, Kabel, Verspannungen. Was man sieht, ist nicht die traditionell einem Gebäude vorgeblendete Maske, sondern das, was sie verdeckt: die Konstruktion. Vorn das brillante Produkt, hinten die Bedingungen und Spuren der Arbeit: bei Bildern der Keilrahmen, der Rahmen, die Aufhängung, Aufkleber, Angaben der Ausstellungsorte – die Rückseite, die der in Antwerpen geborenen Cornelius Gijsbrechts schon 1670 als Stillleben gemalt hat.
Zu unserer Ausstellung: William Anastasi (US) lässt auf der Wand der Galerie die Kontur eines Rechtecks einritzen, innerhalb derer die Wandfarbe bis zur Mauer, zur Rückseite, abgetragen wird. John Beech (US) verwendet die Rückseite eines Bildes als Vorderseite. Rob Scholte (NL) dreht auf dem Flohmarkt gefundene Stickbilder, die holländische Hausfrauen nach Vorlagen (Vermeer, Rembrandt u. a.) verfertigen, herum, signiert die Rückseite und stellt sie aus. Was man nun sieht, sind die heraushängenden Fäden, die von nah besehen, undefinierte Farbflecken bilden, doch aus gewisser Entfernung das Bild erkennen lassen – wie bei einem impressionistischen Gemälde. Charlotte Posenenskes (D) Vierkantrohre, stereometrische Hohlkörper aus Stahlblech, geben Einblick auf die Innenseite. Das Weiß auf Cécile Dupaquiers (F) Wandtafel ist unten bis auf den Bildträger durchgescheuert. Auch Michael Reiters (D) Objekte zeigen Vorderseite und Rückseite zugleich – ebenso die großen Schleifen in Kirstin Arndts (D) Netzarbeit, erinnernd an das bekannte Möbius-Band. Auf Franziska Reinbothes (D) Bild schimmert der Steckrahmen durch die Leinwand. Willy de Sauters (B) Arbeit betont die rauen, normalerweise unter dem Rahmen verborgenen Seiten. Gerwald Rockenschaubs (A) Arbeit zeigt die dicke Schraube, mit der sie hinten an der Wand befestigt wird, unverschämt zentral auf der Vorderseite. In Martina Wolfs (D) Videoarbeit dreht sich der baumelnde Pappdeckel eines fastfood-Behälters, der abwechselnd die stumpfe Vorderseite und die aluminiumbeschichtete, schimmernde Innenseite zeigt, auf der undeutlich der Raum hinter der Kamera erscheint. Alle ausgestellten Arbeiten der internationalen, mehreren Generationen angehörenden Künstler/innen stehen in der großen Tradition der Aufklärung, insofern sie sehen lassen, was sonst verborgen ist – das Gegenteil manieristischer Verrätselung. Burkhard Brunn

Cornelius Norbertus Gijsbrechts, 1670. SMK Statens Musem for Kunst National Gallery of Denmark

Cornelius Norbertus Gijsbrechts
(ca 1610 – after 1675)
1670. Trompe l'oeil
The Reverse of a Framed Painting
66,4 x 87,0 cm
SMK Statens Musem for Kunst
National Gallery of Denmark

 

Die perfekte Täuschung. Das einzige Bild auf der Welt, das zwei Rückseiten hat, malte Cornelius Norbertus Gijsbrechts im Jahre 1670. Der in Antwerpen geborene Künstler, dessen Geburts- und Todesjahr nicht bekannt sind, war ein brillanter Stilllebenmaler, der die Augentäuschung perfekt beherrschte. Das trompe-l’oeil war im 17. Jahrhundert ein Spaß: man stelle sich vor, dass Gijsbrecht’s Rückseitenbild in einer Galerie an der Wand lehnte und den neugierigen Kunstfreund dazu veranlasste, es umzudrehen. Verdutzt wird er ein zweites Mal mit einer Rückseite konfrontiert. Den Betrachter zu nasführen war schon in der Renaissance ein Vergnügen der Florentiner Patrizier, in deren Palazzí hier und dort die Architektur als Scheinarchitektur weitergeführt wurde. Genau genommen ist die gesamte perspektivische Malerei eine Augentäuschung, insofern sie auf der flachen Leinwand eine Räumlichkeit vortäuscht, eine Illusion, die erst die moderne Malerei entschlossen zunichte machte. Die trompe-l’oeil-Malerei wird zu einer Zuspitzung der generellen Augentäuschung, wenn ihr Naturalismus den Betrachter dazu anstiftet, nicht nur zu betrachten, sondern aktiv zu werden: nämlich hinzu zu springen, um etwa ein (perfekt gemaltes) Glas, das aus dem Bilderrahmen zu fallen scheint, geistesgegenwärtig aufzufangen. Gijsbrechts war mit seinen, auf die düpierende Augentäuschung angelegten „Steckbrettern“ so berühmt geworden, dass er an den dänischen Hof berufen wurde. (Steckbretter sind Gestelle, die in den Hausgängen der niederländischen Bürgerhäuser in Augenhöhe angebracht waren, um dort allerlei Krimskrams auf die Schnelle abzulegen: einen Brief, die Brille, den Hausschlüssel usw., Gegenstände, die, um den verblüffenden Effekt hervor zu bringen, oft über den Bildrand hinaus gemalt waren.)
Fraglos ist es ein Affront, dem Betrachter die gänzlich leere Bildrückseite vor die Nase zu halten anstatt ihm mit einer Fülle köstlicher Leckereien den Mund wässrig zu machen, wie das bei den meisten Stillleben üblich war. Doch hat diese Unverschämtheit über den Spaß hinaus eine Tiefe darin, dass sie den Betrachter mit der Leere, d.h. mit dem Nichts konfrontiert.
Das Nichts aber ist nach abendländischem Verständnis der Tod. So gesehen ist Gijsbrechts Gemälde eine besonders raffinierte Version des in der Stilllebenmalerei häufig anzutreffenden memento mori – Motivs (sonst gewöhnlich eine verlöschende Kerze, ein umgefallenes Weinglas, eine faulende Frucht oder – überdeutlich – ein Totenschädel), das den Betrachter ermahnt, beim Genuss der irdischen Köstlichkeiten an das unausweichliche Ende zu denken. Gijsbrechts Gemälde steht in dieser Tradition. Burkhard Brunn

Charlotte Posenenske
Vierkantrohre Serie D / Square Tubes Series D
Tate Modern. London. 2013

JohnBeech_Back

John Beech
Back

FranziskaReinbothe_2018_oT_80x60x4cm_Chiffon-Polyester-Garn

Franziska Reinbothe
oT
2018
Chiffon-Polyester-Garn
80 x 60 x 4 cm

KirstinArndt_2018

KirstinArndt
2018

WillydeSauter

Willy de Sauter

Gerwald Rockenschaub

Gerwald Rockenschaub

CecileDupaquier

Cécile Dupaquier

MichaelReiter

Michael Reiter

William Anastasi

William Anastasi

MartinaWolf

Martina Wolf