Back Stage: Die Rückseite [1]

Galerie Sofie Van de Velde. Antwerpen

8. September – 17. Oktober 2017

Kirstin Arndt
Cécile Dupaquier
Charlotte Posenenske
Franziska Reinbothe
Michael Reiter
Gerwald Rockenschaub
Rob Scholte
Martina Wolf

Ausstellungsansicht. Galerie Sofie Van de Velde. Nieuw Zuid. Antwerpen. 2017

 

Backstage: die Rückseite. Der „Barberinische Faun“ in der Münchener Glyptothek hat eine raue Rückseite, denn er schloss ursprünglich an eine Gartenmauer an. Er schläft und ist vermutlich betrunken. Zwischen seinen breit gespreizten Beinen lässt er ohne Scham sein Gemächt sehen. Im 19. Jahrhundert führte der Wärter die Damen an der schockierenden Schauseite vorbei zur Rückseite: dort, kaum sichtbar, lugt ein Schwänzchen hervor: Gottlob, er ist ein Tier! Die Schauseite eines Kunstwerks zaubert Illusionen (ein wohlgebauter Jüngling), die verdeckte Rückseite birgt die Wahrheit (ein Tier). An die unausweichliche Wahrheit mahnt auch die Figur der „Vanitas“ am Straßburger Münster: vorn eine schöne Frau, aber der Rücken ein Nest von Würmern – ein drastisches Symbol der Vergänglichkeit. Im Theater heißt das, was hinter der Bühne vorgeht, „backstage“. Dort – vor dem Publikum verborgen – befinden sich die technischen Vorrichtungen, die vorn das Schauspiel ermöglichen. Es sind die nicht-ästhetischen Arbeits­bedingungen. Auf der Bühne die bezaubernde Diva, backstage der unordentliche Schminktisch etc. Das Centre Pompidou hat keine Fassade, keine Schauseite. Man blickt direkt ins Gedärm und Gerippe von Renzo Pianos Gebäude: Rohre, Kabel, Verspannungen. Was man sieht, ist nicht die traditionell einem Gebäude vorgeblendete Maske, sondern das, was sie verdeckt: die Konstruktion. Vorn das brillante Produkt, hinten die Bedingungen und Spuren der Arbeit: bei Bildern der Keilrahmen, der Rahmen, die Aufhängung, Aufkleber, Angaben der Ausstellungsorte – die Rückseite, die der in Antwerpen geborenen Cornelius Gijsbrechts schon 1670 als Stillleben gemalt hat.
Zu unserer Ausstellung: Rob Scholte dreht auf dem Flohmarkt gefundene Stickbilder, die holländische Hausfrauen nach Vorlagen (Vermeer, Rembrandt u. a.) verfertigen, herum, signiert die Rückseite und stellt sie aus. Was man nun sieht, sind die heraushängenden Fäden, die von nah besehen, undefinierte Farbflecken bilden, doch aus gewisser Entfernung das Bild erkennen lassen – wie bei einem impressionistischen Gemälde. Charlotte Posenenskes Diagonale Faltung lässt die rückseitige Aufhängung sehen. Ihre stereometrischen Hohlkörper geben – im Gegensatz zur traditionellen Skulptur – Einblick auf die Innenseite. Cécile Dupaquier klappt einen Teil der Rückseite nach vorn. Auch Michael Reiters Objekte zeigen Vorderseite und Rückseite zugleich – ebenso die große blaue Bodenarbeit von Kirstin Arndt – erinnernd an das Möbius-Band, wo die Vorderseite zur Rückseite wird und umgekehrt. Franziska Reinbothe thematisiert die Bedingungen der Schauseite: Rahmen, Leinwand, Aufhängung. So wird die Rückseite Teil der Schauseite. Gerwald Rockenschaubs Arbeit zeigt die große Schraube, mit der sie hinten an der Wand befestigt wird, unverschämt zentral auf der Vorderseite. In Martina Wolfs Videoarbeit dreht sich an einem Fensterriegel der an einem Faden herab baumelnde Pappdeckel eines fastfood-Behälters so, dass einmal seine schimmernde Aluminiumbeschichtung sichtbar ist, auf der undeutlich der Raum hinter der Kamera erscheint, ein andermal seine stumpfe Rückseite. Alle ausgestellten Arbeiten stehen in der Tradition der Aufklärung, insofern sie aufdecken, was sonst verborgen ist – das Gegenteil manieristischer Verrätselung. Burkhard Brunn

Cornelius Norbertus Gijsbrechts, 1670. SMK Statens Musem for Kunst National Gallery of Denmark

Cornelius Norbertus Gijsbrechts
(ca 1610 – after 1675)
1670. Trompe l'oeil
The Reverse of a Framed Painting
66,4 x 87,0 cm
SMK Statens Musem for Kunst
National Gallery of Denmark

 

Die perfekte Täuschung. Das einzige Bild auf der Welt, das zwei Rückseiten hat, malte Cornelius Norbertus Gijsbrechts im Jahre 1670. Der in Antwerpen geborene Künstler, dessen Geburts- und Todesjahr nicht bekannt sind, war ein brillanter Stilllebenmaler, der die Augentäuschung perfekt beherrschte. Das trompe-l’oeil war im 17. Jahrhundert ein Spaß: man stelle sich vor, dass Gijsbrecht’s Rückseitenbild in einer Galerie an der Wand lehnte und den neugierigen Kunstfreund dazu veranlasste, es umzudrehen. Verdutzt wird er ein zweites Mal mit einer Rückseite konfrontiert. Den Betrachter zu nasführen war schon in der Renaissance ein Vergnügen der Florentiner Patrizier, in deren Palazzí hier und dort die Architektur als Scheinarchitektur weitergeführt wurde. Genau genommen ist die gesamte perspektivische Malerei eine Augentäuschung, insofern sie auf der flachen Leinwand eine Räumlichkeit vortäuscht, eine Illusion, die erst die moderne Malerei entschlossen zunichte machte. Die trompe-l’oeil-Malerei wird zu einer Zuspitzung der generellen Augentäuschung, wenn ihr Naturalismus den Betrachter dazu anstiftet, nicht nur zu betrachten, sondern aktiv zu werden: nämlich hinzu zu springen, um etwa ein (perfekt gemaltes) Glas, das aus dem Bilderrahmen zu fallen scheint, geistesgegenwärtig aufzufangen. Gijsbrechts war mit seinen, auf die düpierende Augentäuschung angelegten „Steckbrettern“ so berühmt geworden, dass er an den dänischen Hof berufen wurde. (Steckbretter sind Gestelle, die in den Hausgängen der niederländischen Bürgerhäuser in Augenhöhe angebracht waren, um dort allerlei Krimskrams auf die Schnelle abzulegen: einen Brief, die Brille, den Hausschlüssel usw., Gegenstände, die, um den verblüffenden Effekt hervor zu bringen, oft über den Bildrand hinaus gemalt waren.)
Fraglos ist es ein Affront, dem Betrachter die gänzlich leere Bildrückseite vor die Nase zu halten anstatt ihm mit einer Fülle köstlicher Leckereien den Mund wässrig zu machen, wie das bei den meisten Stillleben üblich war. Doch hat diese Unverschämtheit über den Spaß hinaus eine Tiefe darin, dass sie den Betrachter mit der Leere, d.h. mit dem Nichts konfrontiert.
Das Nichts aber ist nach abendländischem Verständnis der Tod. So gesehen ist Gijsbrechts Gemälde eine besonders raffinierte Version des in der Stilllebenmalerei häufig anzutreffenden memento mori – Motivs (sonst gewöhnlich eine verlöschende Kerze, ein umgefallenes Weinglas, eine faulende Frucht oder – überdeutlich – ein Totenschädel), das den Betrachter ermahnt, beim Genuss der irdischen Köstlichkeiten an das unausweichliche Ende zu denken. Gijsbrechts Gemälde steht in dieser Tradition. Burkhard Brunn

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Charlotte Posenenske
Vierkantrohre Serie D
Ausstellungsansicht. Galerie Sofie Van de Velde
Antwerpen. 2017

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Franziska Reinbothe
Ohne Titel
2017
Acryl auf Leinwand

Kirstin Arndt
Ohne Titel. (Bodenarbeit)
2016 / 2017
PE, hellblau (Materialstärke 6 mm, Materialbreite 100 cm)
Dimension variabel,
hier ca. 3 x 5,5 m

Gerwald Rockenschaub

Gerwald Rockenschaub

Cécile Dupaquier
Miniboard n°4, 2017
Gipskartonplatte 1200 x 600 x 12,5mm
55 x 69 x 4 cm

Michael Reiter
"nochair" (gelb)
2015
Sperrholz, Farbe,
96 x 55 x 30 cm

MartinaWolf

Martina Wolf
Rückseite #17
Frankfurt am Main. 2017
HD Videos / Photografien / Montage
Quicktime Movie H.264
1920 x 1080 px / 25p
Mute. 13 min. Loop

Rob Scholte
Ausstellungsansicht
Galerie Sofie Van de Velde 2017

Rob Scholte
Ausstellungsansicht
Galerie Sofie Van de Velde 2017

Ausstellungsansicht. Galerie Sofie Van de Velde. Nieuw Zuid. Antwerpen. 2017